Die Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin im Dezember vorigen Jahres hat zu kontroversen Debatten geführt. Viele stellten sich die Frage, wie eine dezidiert konservative Architektin als Senatsbaudirektorin einer rot-grün-roten Koalition amtieren kann, die sich eine sozial-ökologische Stadtentwicklung auf die Fahnen geschrieben hat. Zur ersten großen Bewährungsprobe wurde das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren zum Molkenmarkt-Quartier, das eigentlich am 13. September 2022 entschieden werden sollte. Der ergebnislose Abschluss oder besser gesagt: Abbruch dieses Verfahrens zeigt, dass auf Berlin wohl harte Jahre in Sachen ökologischer Stadtentwicklung zukommen werden.
Warum ist die Entscheidung zum Molkenmarkt so wichtig? Das Molkenmarkt-Quartier war auf dem besten Wege, zu einem ökologischen Modellprojekt zu werden. In bester Innenstadtlage – direkt hinter dem Roten Rathaus – sollte ein nachhaltiges Quartier mit rund 400 bezahlbaren Wohnungen und kostengünstigen Kulturräumen entstehen. Zwar kam der 2016 vom damaligen SPD – CDU – Senat beschlossene Bebauungsplan noch sehr konventionell daher. Doch mit dem Regierungsantritt des rot-rot-grünen Senats 2016 begann ein Planungsprozess, der das Projekt in eine innovationsfreudigere Richtung lenkte. Zunächst fand ein aufwendiger Partizipationsprozess statt, in dem 8 Leitlinien erarbeitet wurden. Gefordert wurden unter anderem ein „innovativer, bezahlbarer Wohnungsbau“, „möglichst flexible Raumpotenziale“ für die Kultur und eine klimagerechte Gestaltung mit „grünen und blauen Kühlungen“. Zudem sollten die landeseigenen Flächen nicht privatisiert, sondern durch die landeseigenen Wohnungsgesellschaften entwickelt werden.
Die 8 Leitlinien bilden auch die Grundlage für das im August 2021 gestartete Wettbewerbs- und Werkstattverfahren. Der Auslobungstext forderte „innovative, zukunftsweisende und durchaus auch experimentelle Ideen und Konzepte“, „Experimentierfreudigkeit und Innovation“ sowie „bezahlbare, d.h. wirtschaftlich zu errichtende und zu betreibende Wohnformen“.
In diesem Verfahren kristallisierte sich sehr bald ein Favorit heraus – der Entwurf des Kopenhagener Büros OS arkitekter mit dem Berliner Büro czyborra klingbeil architekturwerkstatt. Diesem Entwurf gelang es tatsächlich, die unterschiedlichen Anforderungen unter einen Hut zu bringen und zudem ein Stück Zukunft zu vermitteln. Vorgeschlagen wurden flexible Gebäude auf Basis einer Skelettkonstruktion aus Holz, die eine große Nutzungsvielfalt ermöglicht hätten. Hier hätten sowohl bezahlbare Wohnungen als auch vielfältige Kulturräume untergebracht werden können. Geschickte Erschließungsstrukturen sollten für günstige Bau- und Betriebskosten sorgen. Zudem planten die Architekten das Quartier von Anfang an klimagerecht – mit Versickerungsmulden für das Regenwasser bis hin zu Baumpflanzungen und begrünten Fassaden. All diese Konzepte wurden durch aufwendige Simulationen zu Starkregenereignissen, zum Lärm, zu Windverhältnissen und zur Besonnung untersetzt. Seine Entwürfe illustrierte das Team mit attraktiven Simulationen, die schnell über die Medien verbreitet wurden und die auch bei den Laien Begeisterung weckten. Zu allem war der Entwurf auch mit dem Bebauungsplan kompatibel. Er hätte also eine gute Basis für die weitere Planung gebildet.
Dieser Entwurf wird nun wahrscheinlich nicht umgesetzt werden. Zwar zeigte das Preisgericht durchaus Sympathien für den Entwurf von OS arkitekter. Wer das Protokoll des Zwischenkolloquiums am 14. April 2022 aufmerksam liest, der erkennt, dass der OS arkitekter – Entwurf auch vom Preisgericht favorisiert wurde. Dennoch verfügte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt am 13. September die Beendigung des Verfahrens ohne einen Sieger. Petra Kahlfeldt behauptete zwar, dass das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren gar keinen Sieger vorgesehen habe. Doch diese Behauptung lässt sich mit einem Blick in die Auslobung leicht entkräften: In dieser steht ganz klar: „Zum Abschluss des Werkstattverfahrens tritt das Preisgericht erneut zusammen und berät über die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt.“
Am Ende steht ein Desaster: Eine hoffnungsvolle Entwicklung wurde ausgebremst. Der Neubau von 400 bezahlbaren Wohnungen, die Berlin gut gebrauchen könnte, wird verzögert. Zudem wurde viel Vertrauen zerstört: Denn welches Architekturbüro wird sich noch an einem Wettbewerb in Berlin beteiligen, wenn er so willkürlich beendet wird? Am Molkenmarkt konnte Petra Kahlfeldt beweisen, wie viel ihr eine klimagerechte Stadtentwicklung bedeutet. Seit gestern wissen wir: sehr wenig.
Matthias Grünzig