Am Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt war auch ein Bürgervertreter beteiligt. Der Bürgervertreter Matthias Grünzig hat nach der ergebnislosen Beendigung des Verfahrens eine Stellungnahme verfasst und an die stadtentwicklungspolitischen Sprecher aller Fraktionen des Abgeordnetenhauses (außer der AfD) verschickt. Diese Stellungnahme dokumentieren wir nachfolgend im Wortlaut:
„Das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt war Teil eines aufwendigen Planungsprozesses. Den Anfang markierte ein umfangreiches Partizipationsverfahren, in dem die Bürger*innen ihre Vorstellungen zur Zukunft dieses Areals einbringen konnten. Die Ergebnisse wurden im Mai 2021 in Form von 8 Leitlinien festgeschrieben. Zentrale Punkte waren bezahlbare Wohnungen, flexible Räume für die Kultur, eine klimagerechte Gestaltung und die Sichtbarmachung archäologischer Zeugnisse.
Auf Grundlage dieser Leitlinien wurde im August 2021 das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt gestartet. In der Auslobung wurde von den Wettbewerbsteilnehmern ausdrücklich die Beachtung der 8 Leitlinien verlangt. An diesem Verfahren war ich als Bürgervertreter beteiligt. Ich habe es als meine Aufgabe angesehen, immer wieder die Berücksichtigung der aus der Bürger*innenbeteiligung hervorgegangenen 8 Leitlinien einzufordern.
In einer ersten Phase wurden durch das Preisgericht am 29. und 30. November 2021 zwei Entwürfe für die weitere Bearbeitung ausgewählt. Der Entwurf von OS arkitekter (Kopenhagen) mit czyborra klingbeil architekturwerkstatt (Berlin) legte von Anfang an einen Schwerpunkt auf soziale und ökologische Aspekte. Er plante flexible Gebäude auf Basis einer Skelettkonstruktion aus Holz, die differenzierte Räume für vielfältige Nutzungsmöglichkeiten geboten hätten. Die Planer entwickelten ein effizientes Erschließungssystem, das mit wenigen Erschließungskernen auskam und deshalb für günstige Bau- und Betriebskosten gesorgt hätte. Zugleich legte der Entwurf großen Wert auf Ökologie. Er plante stark begrünte autoarme Straßen, Versickerungsmulden für das Regenwasser, begrünte Fassaden und großzügige Höfe mit zahlreichen Bäumen. Photovoltaikanlagen auf den Dächern gehörten ebenso zum Konzept wie Gemeinschaftsgärten. Zudem schlug der Entwurf die Schaffung eines „Kulturpfades“ vor, an dem die öffentlichkeitswirksamen kulturellen Nutzungen angeordnet werden sollten.
Der Entwurf des Büros Bernd Albers (Berlin) mit Vogt Landschaftsarchitekten (Zürich) orientierte sich ursprünglich an der Parzellenstruktur von 1910 und versuchte, diese möglichst weitgehend wieder herzustellen. Er sah deutlich schmalere Häuser vor. Das Thema klimagerechter Städtebau spielte eine geringere Rolle. Steinerne Straßen, enge Höfe, wenige Bäume, das Fehlen von Versickerungsflächen für das Regenwasser und Photovoltaikanlagen auf den Dächern waren Kennzeichen des Entwurfs. Dieser Entwurf stand deshalb zunächst in einem Konflikt mit den Leitlinien.
In der zweiten Werkstattphase ab Januar 2022 wurden beide Entwürfe im Dialog mit dem Preisgericht überarbeitet. In diesem Prozess leisteten die Mitglieder des Preisgerichts eine sehr kompetente und konstruktive Arbeit. Vor allem der Entwurf des Teams Bernd Albers / Vogt Landschaftsarchitekten erfuhr eine grundlegende Veränderung. Beispielsweise stellte sich heraus, dass die vorgeschlagenen schmalen Häuser mit der Forderung nach bezahlbaren Wohnungen nicht in Übereinstimmung zu bringen waren. Vor allem die zahlreichen Treppenhauskerne mit Aufzügen hätten zu hohen Bau- und Betriebskosten geführt. Das Teams Albers / Vogt reagierte auf diese Erkenntnis mit einer Veränderung seines Entwurfs: Die teilweise sehr schmalen Häuser wurden durch größere Gebäude ersetzt. Die Zahl der Erschließungskerne wurde deutlich reduziert. Zudem wurde die Flexibilität verbessert: Ein Großteil der Gebäude wurde nun als Skelettkonstruktionen geplant.
Eine weitere Überarbeitung betraf die klimagerechte Gestaltung: Es stellte sich heraus, das enge Höfe, steinerne Straßen und der Verzicht auf Versickerungsflächen schwer mit den Anforderungen des Klimawandels in Einklang zu bringen waren. Das Team Albers / Vogt reagierte auch auf diese Hinweise mit grundlegenden Veränderungen: Die sehr engen Höfe wurden großzügiger gestaltet, in den Höfen und auf den Straßen wurden Versickerungsflächen für das Regenwasser angeordnet, auf den Häusern wurden grüne Dächer mit Solarnutzung geplant.
Insgesamt kam es im Verlauf des Werkstattverfahrens zu einer Annäherung des Entwurfs von Albers / Vogt an den Entwurf von OS arkitekter / czyborra klingbeil. Die Entwürfe, die am 12. September 2022 auf einem Bürger*innen-Abend vorgestellt wurden, waren realisierungsfähig und entsprachen in großen Teilen den Leitlinien, wobei der Entwurf des Teams OS arkitekter / czyborra klingbeil noch stärker den Leitlinien gerecht wurde. Dieser Entwurf hätte eine sehr gute Grundlage für den weiteren Planungsprozess geboten. Mehr noch: Er hätte die Chance eröffnet, das Molkenmarkt-Quartier zu einem klimagerechten Modellquartier mit überregionaler Ausstrahlung zu entwickeln.
Umso größer war die Überraschung, als das Verfahren am 13. September 2022 ohne eine Entscheidung für einen Entwurf beendet wurde. Diese Entscheidung war keine Entscheidung des Preisgerichts. Es hatte nie eine Abstimmung des Preisgerichts über das weitere Vorgehen stattgefunden. Vielmehr wurde diese Entscheidung zu Beginn der Preisgerichtssitzung am 13. September von der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt mitgeteilt. Die Senatsbaudirektorin hat mehrfach erklärt, dass diese Nicht-Entscheidung schon im Auslobungstext vorgesehen gewesen wäre. Doch diese Aussage ist falsch. Denn im Auslobungstext heißt es ganz klar:
„Zum Abschluss des Werkstattverfahrens tritt das Preisgericht erneut zusammen und berät
über die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt.“ S. 9
Die ergebnislose Beendigung des Verfahrens ist deshalb inakzeptabel und stellt einen schweren Vertrauensbruch dar. Beide Teams haben viel Arbeit in dieses Verfahren investiert und stehen nun ohne Ergebnis da. Welche Architekten werden sich künftig noch an Wettbewerben in Berlin beteiligen, wenn mit ihnen so willkürlich umgegangen wird?
Noch unverständlicher ist die Entscheidung, dass der weitere Planungsprozess durch die Verwaltung ohne Beteiligung eines der beiden Teams durchgeführt werden soll. Dieses Vorgehen birgt die Gefahr, dass ein jahrelanges Verfahren, in das viel Engagement und Kompetenz eingeflossen ist, nun völlig im Sande verläuft.
Aus diesen Einschätzungen ergeben sich folgende Forderungen für das weitere Verfahren:
1.Das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren muss auf eine glaubwürdige Weise zu Ende gebracht werden. Zu dieser Glaubwürdigkeit gehört, dass das Preisgericht nochmals zusammentritt und – wie in der Auslobung vorgesehen – einen Entwurf als Grundlage für die Charta empfiehlt.
2.Die Leitlinien und die konsensual erarbeiteten Erkenntnisse aus dem Wettbewerbs- und Werkstattverfahren müssen auch künftig die Grundlage für die weiteren Planungsschritte bilden. Folgende Punkte sind dabei zentral:
-größere Gebäudeeinheiten mit wenigen Erschließungskernen
-flexible Gebäude auf Basis von Skelettkonstruktionen mit wenigen Brandwänden
-stark begrünte Höfe und Straßen
-möglichst umfangreiche Baumpflanzungen
-begrünte Fassaden
-Versickerungsflächen in Höfen und Straßen zur Regenwasserableitung
-grüne Dächer, kombiniert mit Photovoltaiknutzung
-Anordnung der kulturellen Nutzungen zu einem attraktiven Kulturpfad“