Justus Hayner: Oben versus unten – Egalität und Städtebau

Nur der Fernsehturm sticht heraus, sonst ist Berlin arm an markanten Höhensprüngen – das soll sich nach Meinung mancher ändern

Für die problematische Nähe zwischen Immobilienbranche und Politikapparat gibt es hierzulande sogar einen eigens Wort: Baufilz. Das hat auch strukturelle Gründe: Bauen ist in Deutschland grundsätzlich anzeige- bzw. genehmigungspflichtig, das heißt, dass es so lange untersagt ist bis eine Erlaubnis durch die Kommune erfolgt. Damit halten die Verwaltung und Politik ein starkes Machtinstrument in der Hand, das sie allerdings mit dem Ausstellen der Genehmigung vollständig aufgeben. Denn ist die Genehmigung für den Abriss, die Bauplanung bzw. den Bau erst einmal erteilt, besteht für eine Kommune darüber hinaus kaum mehr Gestaltungszugriff auf dieses Teilstück der Stadt. 

Wenig überraschend bedienen sich Projektentwickler eines erheblichen kreativen Aufwandes, um die gewünschte Baugenehmigung in den Händen zu halten. Da werden die unglaublichsten Sachen versprochen, geschmeichelt, gedroht und zwielichtige Deals gemacht – denn im Bausektor liegt erhebliches Kapital: 404 Mrd. Euro betrug das Bauvolumen in deutsche Immobilen allein im Jahr 2020. Kein Wunder, dass die Branche die Korruptionsstatistik regelmäßig anführt. Und oft wird ohne zu Bauen weiterverkauft. Allein ein Bauversprechen sichert einen Wertzuwachs für den Entwickler, nicht aber unbedingt für die Stadtgesellschaft und das Gemeinwohl.

Nehmen wir etwa SIGNA – das Unternehmen welches mit dem Umbau des Karstadt Hermannplatzes, dem Projekt Kudamm 229-231 und dem SIGNA-Kaufhaus am Alexanderplatz aktuell drei Großprojekte in Berlin verfolgt.
Insgesamt möchte das Unternehmen 3,5 Mrd. Euro in Bauprojekte in Berlin investieren. Dabei gestaltete sich aber deren Genehmigung nicht ganz einfach: Für den Abriss und Neubau mit deutlichem Höhenzuwachs des Karstadt am Hermannplatz gab es seinerzeit vom zuständigen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und auch dem angrenzenden Bezirk Neukölln eine Absage. Ebenso wies das Baukollegium, damals noch unter der Leitung von Regula Lüscher, die Pläne von SIGNA für ein Hochhaus als Teil des Projekts Kudamm 229-231 zurück. Beide Entscheidungen wurden inzwischen auf höhere Ebene kassiert. Wie konnte das passieren?

Einerseits nimmt das Unternehmen mittels offensiver Öffentlichkeitskampagnen, anwaltlicher Abmahnungen, Anzeigenkäufe oder Übernahme ganzer Medienhäuser, wie der Österreichischen Krone-Zeitung und Kurier, Einfluss auf die Berichterstattung.  Im Kern handelt es sich aber bei SIGNA um einen Immobilienkonzern. Und durch das Warenhaussegment verfügt das Unternehmen darüber hinaus über einen Machthebel, um Lokalpolitiker*innen unter Druck zu setzen: Die Drohung von Arbeitsplätzeabbau und Filialschließungen bei der GALERIE KARSTADT KAUFHOF-Kette wurden in Berlin erfolgreich eingesetzt, um auf höchster Regierungsebene negative in positive Unterstützung für Bauprojekte zu verwandeln.

Dabei scheint der Verdacht angebracht, dass SIGNA die angeschlagene Warenhauskette primär wegen deren Grundstücke in Bestlagen übernommen hat und der Warenhausbetrieb langfristig sowieso abgewickelt werden wird. Die trotz des „Letter of Intent“ mit Müller, Pop und Lederer erfolgten und geplanten Filialschließungen und die Umwandlung von Verkaufs- in Büroflächen bei SIGNAs Projekten deuten jedenfalls in diese Richtung.

Dabei gibt es gute städtebauliche Argumente gegen die von SIGNA vorangetrieben Projekte: Unbestreitbar ist das bestehende KARSTADT-Warenhaus schon durch seine Ausdehnung über die komplette Platzlänge ein prägender Baukörper am Hermannplatz. Doch was das Bestandgebäude auszeichnet ist, dass es durch seine zurückgenommene Bauhöhe versucht dem Hermannplatz ein Eigenleben als Stadtplatz zu ermöglichen, ohne von seiner schieren Baumasse erdrückt zu werden. So konnte sich dort trotz offensichtlicher Mängel bei der verkehrlichen Platzgestaltung und hektischer Betriebsamkeit auch eine nachbarschaftliche Atmosphäre entwickeln. Zwar ist die endgültige Bauhöhe noch nicht spruchreif, doch von den Visualisierungen aus zu schließen strebt SIGNA mit seinem Neubau mindestens eine Verdoppelung der Bauhöhe an. Damit würde nicht nur die Verschattung des Platzes erheblich zunehmen, sondern der Hermannplatz würde auch symbolisch zum Kaufhausvorplatz degradiert werden.

Mit dem Potsdamer Platz besteht bereits ein missglückter Versuch Berlin eine Skyline überzuhelfen. Dabei wirkt die Downtown-Manhattan-Imitation gerade in ihrem unbedingten Versuch eine Weltmetropole zu mimen vor allem eines: provinziell. Vielleicht aus der vernünftigen Einsicht heraus, die gleichen Fehler nicht ein zweites Mal zuzulassen und der denkmalgeschützten Gedächtniskirche in unmittelbarer Nähe mehr Raum und Würde zu lassen, entschied das Baukollegium unter Regula Lüscher 2018, dass der berühmte Kudamm-Boulevard „nicht die richtige Stelle“ für ein Hochhaus-Cluster sei und lehnte die SIGNA-Pläne für drei 120 – 150m hohe Tower ab. Da diese Entscheidung nicht mehr zu den aktuellen politischen Willensbekundungen der neuen Bürgermeisterin passt, kommt jetzt der neuen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt in einem Werkstattverfahren die Rolle zu, das städtebaulich abzunicken, was von oberer Stelle beschlossen wurde.

Viel diskutiert wurde auch die Planung am Alexanderplatz, wo SIGNA derzeit ein 134 Meter hohen Tower baut. Bereits 1993 gewann der Masterplan von Hans Kollhoff und Helga Timmermann, welcher 10 Türme von etwa 150m vorsah, die den Platz rahmen sollten. Vielleicht spielte das zu dieser Zeit in der Stadtentwicklung sehr präsente Streben, alles was mit DDR oder Sozialismus zu tun hat aus der Stadt zu tilgen, eine Rolle bei der Entscheidung den Ort des DDR-Vorzeigeprojekts „Sozialistischen Mitte Berlin“ bis zur Unkenntlichkeit zu überformen und mit diesem Hochhaus-Cluster einen Antagonisten zur (sozialistischen) Stadtkrone des Fernsehturms zu installieren. Vielleicht haben sich auch, wie bei der Planung des Potsdamer Platzes, Investoren durchgesetzt. Jegliche Versuche der letzten Jahre, die Diskussion über die Platzgestaltung noch einmal grundsätzlicher und wertschätzender zu führen, sind letztlich gescheitert.

Dabei geht es nicht darum Hochhäuser grundsätzlich abzulehnen, sondern die baukulturelle Bedeutung, die Vor- und Nachteile dieser Bauform und den sozial-ökologischen, sowie ökonomischen Kontext mitzudenken: Keine andere Bauform steht so sinnbildlich für Hybris und Immobilienspekulation wie das Hochhaus: Um trotz explodierender Bodenpreise maximale Gewinne zu erzielen, orientierte man sich bereits ab der Jahrhundertwende immer stärker in die Höhe. Mit steigender Höhe stiegen die Baukosten und der Kreis der Akteure, die finanziell überhaupt in der Lage waren solche Großprojekte anzugehen, wurde immer exklusiver. Das Hochhaus wurde so zum vorrangigen Anlageobjekt und ist wie keine andere Immobilienart den Bewegungen der Finanzmärkte unterworfen.

Das Hochhaus ist dabei eine zutiefst egoistische Bauform: Als Monolith steht es für sich allein, versucht sich in keine Nachbarschaft einzugliedern, sondern richtet sich im Prinzip gegen sie: Es möchte überragen, für sich selbst all das Licht und den Ausblick beanspruchen und lässt die anderen im Schatten zurück. „Oben versus Unten“ ist hier steingeworden Realität. Da stellt sich schon die Frage warum eine Stadt wie Berlin, wo noch immer Jede*r Fünfte als arm gilt, solch eine städtebauliche Symbolsprache für sich in Anspruch nehmen sollte. Die Stärke dieser Stadt lag viel mehr darin, dass sie durch ihren Polyzentrismus und die angeglichen Bauhöhen („Berliner Traufhöhe“) eine Egalität ausstrahlte.  Es wird Zeit, dass Berlin stadtpolitisch eine klare Haltung entwickelt. Nicht von Angst vor Investoren und Minderwertigkeitskomplexen getrieben, sondern selbstbewusst mit einem kritischen Blick Projekte danach beurteilt, was das Leben der Menschen dieser Stadt tatsächlich bereichert und was nur Investorenträume sind.

Zum Autor: Justus Hayner studiert Stadtplanung an der TU-Berlin, bei BerlinerInnen gegen SIGNA veröffentlichte er bereits „POP KUDAMM – WIE SIGNA DIE BERLINER POLITIK BEEINFLUSST

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