Kristin Feireiss, Matthias Grünzig: Wie wir leben wollen

Freiraum am Fernsehturm (c) Matthias Grünzig

Die Stadtentwicklung in Berlin steht am Scheideweg. Dass Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin ernannt wurde, steht im Widerspruch zu den Zielen des Koalitionsvertrags, der auf eine soziale und ökologische Stadtpolitik setzt.

Wie geht es weiter mit der Stadtentwicklung in Berlin nach der Bildung des neuen Senats? Zu dieser Frage gibt es aktuell völlig gegensätzliche Signale. Auf der einen Seite haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf einen Koalitionsvertrag verständigt, der viele positive Elemente enthält, wie eine Stärkung des öffentlichen Eigentums und einen ökologischen Umbau der Stadt. Doch auf der anderen Seite wird der Start des neuen Senats durch eine Personalie überschattet, die schon jetzt für Verunsicherung auf allen Seiten sorgt. Denn mit der Architektin Petra Kahlfeldt wurde eine Persönlichkeit zur Senatsbaudirektorin ernannt, die definitiv im Gegensatz zu den Zielen dieses Koalitionsvertrages steht.

Worum geht es bei diesem Streit? Berlin hat sich in den letzten Jahren trotz mancher Misserfolge international als Labor für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung hervorgetan. Der Senat hat eine neue Liegenschaftspolitik beschlossen, die die Privatisierung kommunaler Immobilien nicht nur gestoppt, sondern sogar umgekehrt hat. Seitdem haben die landeseigenen Wohnungsgesellschaften große Bestände privater Eigentümer mit rund 40.000 Wohnungen aufgekauft. Zudem wurde der Neubau landeseigener Wohnungen deutlich gesteigert. 16 neue Stadtquartiere mit insgesamt 52.000 Wohnungen wurden auf den Weg gebracht, darunter das Schumacher Quartier auf dem Flughafengelände in Tegel und der Blankenburger Süden.

Diese Erfolge waren möglich, weil sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen für eine gemeinwohlorientierte, ökologische Stadtentwicklung engagiert haben und weil die Politik ihre Vorschläge aufgegriffen hat. Auch die „Initiative Offene Mitte Berlin“ hat sich in diese Prozesse eingebracht. Eine Schlüsselrolle spielte dabei Regula Lüscher. Die seit 2007 amtierende Senatsbaudirektorin erkannte schnell, dass es in einer so heterogenen und vielfältigen Stadt wie Berlin nicht darum gehen kann, eigene Vorstellungen von oben herab durchzusetzen. Gefragt waren vielmehr eine Offenheit und Toleranz gegenüber den unterschiedlichen stadtpolitischen Initiativen und die Bereitschaft, Freiräume für Experimente zu eröffnen. Dazu gehört auch die Anerkennung Berlins als Kulturraum, der in den letzten Jahrzehnten durch den Zuzug aus der ganzen Welt enorm profitiert hat und sich nicht mehr mit einem verordneten Architekturstil abbilden lässt. Diese Überzeugungen brachte Regula Lüscher in dieses Amt ein. Mit viel Fingerspitzengefühl, Geduld und Fairness schaffte sie es immer wieder, zwischen unterschiedlichen Interessen zu vermitteln.

Doch nun sind diese Erfolge gefährdet. Zwar enthält der Koalitionsvertrag viele positive Ziele. Bis 2030 sollen 200.000 neue Wohnungen, die Hälfte davon im bezahlbaren und gemeinwohlorientierten Segment, entstehen. Neben den schon geplanten 16 sollen fünf weitere neue Stadtquartiere auf den Weg gebracht werden. Die „Schulbauoffensive“, die 42 Neubauschulen und zahlreiche Sanierungen beinhaltet, wird fortgesetzt. Landeseigene Immobilien sollen weiterhin nicht privatisiert werden, zudem ist auch künftig laut der politischen Vereinbarung der Ankauf weiterer Wohnungen durch landeseigene Wohnungsgesellschaften geplant. Schließlich soll der klimagerechte Stadtumbau vorangetrieben werden. Flächen sollen entsiegelt werden, zudem ist ein Ausbau des ÖPNV, des Fußverkehrs und des Radverkehrs geplant. Kurzum: Dieser Koalitionsvertrag stellt an die neue Senatsbaudirektorin hohe Anforderungen. Essentiell sind Erfahrungen mit dem Neubau preiswerter Wohnungen, mit der Planung neuer Stadtquartiere und mit einer klimagerechten Stadtentwicklung. Gleichzeitig ist eine integrative Persönlichkeit gefragt, die bei den unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren Anerkennung genießt und zwischen gegensätzlichen Interessen vermitteln kann.

Schon bald nach den Wahlen hatten deshalb Diskussionen über die Besetzung dieses wichtigen Amtes eingesetzt. Die Architektenkammer Berlin schlug die Einsetzung einer Findungs- und Auswahlkommission vor. Die Architekturzeitschrift ARCH+, der Architekturpublizist Philipp Oswalt und die „Initiative Offene Mitte Berlin“ initiierten einen Offenen Brief Für eine offene und transparente Auswahl des neuen Senatsbaudirektors / der neuen Senatsbaudirektorin an die Berliner SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh. Dieser wurde von über 600 namhaften Architekt*innen, Initiativen und Verbänden unterzeichnet.

Umso größer war die Überraschung, als die SPD eine völlig andere Verfahrensweise wählte. Auf ein Auswahlverfahren wurde verzichtet, stattdessen wurde die Architektin Petra Kahlfeldt ernannt. Sie war von 1987 bis zu ihrer Ernennung als Senatsbaudirektorin Mitinhaberin des Büros Kahlfeldt Architekten. Wer sich dessen Referenzliste anschaut, der findet vor allem Villen und hochpreisige Wohngebäude, wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist. Nicht vertreten sind dagegen Beispiele für den Neubau von bezahlbaren Wohnungen und die Planung neuer Stadtquartiere, die zu den dringlichsten Aufgaben der neuen Senatsbaudirektion gehört. Zudem verfügt Petra Kahlfeldt über keine Erfahrungen mit der Leitung von Verwaltungen. Es ist daher unklar, wie sie die überaus schwierige Entwicklung von 21 neuen Stadtquartieren bewältigen will. Auf der anderen Seite vertritt Petra Kahlfeldt Positionen, die dem Koalitionsvertrag völlig zuwiderlaufen. Beispielsweise setzt sie sich seit Jahren mit großer Vehemenz für die Privatisierung öffentlicher Immobilien ein. Sie ist Mitglied der 2011 gegründeten Planungsgruppe Stadtkern, die sich seitdem für die Privatisierung öffentlicher Flächen in der Berliner Innenstadt engagiert.

Die Zukunft wird zeigen, wonach Petra Kahlfeldt ihre Politik ausrichtet: Nach dem Koalitionsvertrag oder nach ihren bisherigen Überzeugungen? Ein erster Prüfstein könnte die Entwicklung des Molkenmarktes werden. Der Molkenmarkt ist ein innerstädtisches Areal unweit des Alexanderplatzes von rund acht Hektar, das bislang durch Verkehrstrassen und Parkplätze genutzt wurde. Derzeit werden die Straßen verlegt, künftig soll hier ein gemischtes Quartier mit Wohnungen, Gewerbe und Kultur entstehen. Heute bündeln sich an diesem Ort die Konflikte wie in einem Brennglas: Ein Konflikt betrifft die Bauherren. Nach den aktuellen Planungen sind in dem Quartier bezahlbare Wohnungen vorgesehen, die durch landeseigene Wohnungsgesellschaften errichtet werden sollen. Die Planungsgruppe Stadtkern, zu der auch Petra Kahlfeldt gehört, hatte dagegen immer wieder für eine Privatisierung der Flächen gekämpft. Auf der anderen Seite ist auch die Gestaltung des Quartiers umstritten. Im vorigen Jahr startete ein offener städtebaulicher und freiraumplanerischer Wettbewerb zum Molkenmarkt. Nach der ersten Wettbewerbsphase wurden zwei Entwürfe für die weitere Bearbeitung ausgewählt, die völlig gegensätzliche Ansätze zeigen.

Der Entwurf des Berliner Architekturbüros Bernd Albers mit Vogt Landschaftsarchitekten aus Zürich orientiert sich stark an gründerzeitlichen Stadtstrukturen. Geplant sind konventionelle Mietshäuser mit Geschäften im Erdgeschoss und einige Townhouses. Der Entwurf des Kopenhagener Büros für Stadtplanung OS arkitekter mit czyborra klingbeil architekturwerkstatt aus Berlin ist dagegen wesentlich innovativer. Er schlägt flexible Häuser vor, die auf einer Holz-Skelettkonstruktion beruhen und deren Wände nach Belieben versetzt oder entfernt werden können. Dank dieser Flexibilität können die Räume an wechselnde Bedürfnisse angepasst werden. Außerdem beinhaltet der Entwurf ein ausgefeiltes ökologisches Konzept – von Versickerungsmulden für das Regenwasser über begrünte Fassaden bis hin zu stadtklimatisch wirksamen Baumpflanzungen. Noch in diesem Jahr soll ein endgültiger Sieger gekürt werden. Am Molkenmarkt wird sich also schon bald entscheiden, ob in Berlin auch künftig eine soziale und ökologische Stadtpolitik betrieben wird.

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