Beutegemeinschaft

Von Philipp Oswalt

Die Stifterin Marie-Luise Schwarz Schilling eröffnete am 3. September 2023 den Abschlussabend ihres sogenannten Mitte-Fests in der Parochialkirche mit der Geschichte von Odysseus und den Lotophagen. So wie Odysseus Gefährten ihre Herkunft und ihre Ziele vergessen haben, so hätten die Berliner ihre historische Mitte vergessen, und gegen diese Amnesie wende sie sich.  Dafür hat sie die Stiftung Berlin Mitte gegründet, mit der sie an diesem Wochenende das zweite Mittefestival durchgeführt. Marie-Luise Schwarz Schilling wohnt im selben Haus wie der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeld und ist nach deren Amtsantritt aktiv geworden. Mit ihren Mitteln unterstützt sie die konservative Agenda der Architekten und ihrem im AIV organisierten Netzwerk. Viel Unterstützung erfährt sie dabei von dem Verleger der Berliner Zeitung Holger Friedrich, für den das Büro Kahlfeld ein Haus gebaut hat und der das Wirken von Marie-Luise Schwarz Schilling als begrüßenwertes bürgerschaftliches Engagement präsentiert. Sie alle wollen, dass die Berliner Altstadt nach dem Vorbild der Frankfurter rekonstruiert wird, für die „Reichen und Schönen“, wie es Stiftungsvorstand Benedikt Goebel unverblümt sagt.

Während man fotorealistische Rendering von Bebauungsvorschlägen präsentiert, welche die verlorenen Bauten wieder 1:1 in die heutige Stadtlandschaft implantieren, will man andere Dinge lieber nicht so genau wissen oder an sie erinnert werden. Ausgeschwiegen wird sich über die Frage, woher das Vermögen den stammt, mit welchem die Stiftung Mitte Berlin nun auf die Berliner Stadtpolitik Einfluss nimmt. Marie-Luise Schwarz Schilling hatte 1957 die Accumulatorenfabrik Sonnenschein von ihrem Vater geerbt. Und deren Gewinne basieren nicht zuletzt auf einer verbrecherischen Ausbeutung von Mensch und Umwelt.

Die 1910 gegründete Accumulatorenfabrik Sonnenschein erlebte als militärischer Ausrüster im Nationalsozialismus einen stürmischen Aufschwung. 1936 und dann nochmals 1938 musste die Firma ihren Standort in Berlin wechseln, um ihrem enorme Wachstum Raum geben zu können. Am letzten Standort in Berlin-Mariendorf befand sich ein kleines Zwangsarbeitslager mit drei Baracken für 40 – 80 sowjetische Kriegsgefangene. In der Kriegszeit wurde zudem ein Zweigwerk in Leipa (Böhmen) in Betrieb genommen. Die Mitarbeiterzahl stieg von 6 Personen im Jahr 1926 auf 338 im Jahr 1943. Für die Ausbeutung der Zwangsarbeiter hat Marie-Luise Schwarz Schilling selbst nie eine Kompensation bezahlt. 1992 verkaufte sie die Firma.          

Nach Kriegsende wurde die in guten Teil zerstörte Produktionsstätte wiederaufgebaut. Durch massive Verstöße gegen gesetzliche Regeln, u.a. den illegalen Betrieb einer Bleischmelzanlage, verursachte die Fabrik in den 1970er und 1980er Jahren massive Verseuchungen der Umgebung mit Blei und Schwefelsäure. Grenzwerte wurden im angrenzen Wohnviertel und dessen Spielplatz um das Tausendfache überschritten. Der Fall erregte damals bundesweite Aufmerksamkeit und gehört zu den größten Umweltskandalen Westberlins. In einem Strafprozess verurteilte das Berliner Amtsgericht 1991 zwei der Geschäftsführer der Firma zu hohen Geldstrafen. Strafmildernd wurde gewürdigt, daß sich seitens der damaligen Berliner Umweltverwaltung »niemand bemüßigt gefühlt habe, der Werksleitung auf die Finger zu sehen«. (Bericht tageszeitung, 12.3.1993). Die FirmeninhaberIn wurde nicht zur Rechenschaft gezogen und konnte die mittels schwerer Umweltkriminalität erzielten Gewinne behalten.

Auch anders wußte Marie-Luise Schwarz Schilling von ihren guten Kontakten in die Politik zu profitieren. 1982 wurde ihr Mann Christian Bundespostminister, der zu „Kohls affärenreichster Minister“ wurde. Auslöser dieser Affären waren meist die Verwicklungen des Familienunternehmens seiner Frau in Schwarz-Schillings politische Entscheidungen. So setzte sich der Postminister für den Ausbau von Kupferkabelnetzten ein, als längst die Zeichen auf Glasfasernetzen standen. Die Sonnenschein KG seine Frau hatte zwei Jahre zuvor die Projektgesellschaft für Kabelkommunikation (PKK) mitbegründet, die durch Schwarz Schillings politischen Weichenstellungen begünstigt wurde.

Auch wenn man daran heute nicht mehr erinnert werden will, knüpft man offenkundig gerne an die einst erworbene Expertise, wie man den Staat zur Beute macht, heute wieder an.  Marie-Luise Schwarz Schilling will sich im Molkenmarktquartier unternehmerisch „engagieren“, aber fordert selbstredend, die Grundstücke unter Marktwert verkauft zu bekommen. Zugleich unterstütze sie die Forderung der Stiftung „Berlinsches Gymnasium zum Grauen Kloster“ auf Restitution der Grundstücke des ehemaligen Grauen Kloster, um an diesem Standort eine Eliteschule zu errichten. Doch diese wurde erst nach 1945 in Westberlin gegründet, und so verblüfft die Dreistigkeit eines solchen aus der Luft geholten Begehrens, dass aber an dem Abend von allen Rekonstuktionsfreunden des Berliner Senats und der Berliner Senatsverwaltung teils widerspruchslos hingenommen, teils explizit unterstützt wurde.

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