Der Architekten- und Ingenieurverein lädt ein – eine große Ausstellung zur Verkehrswende. Oder das „Berliner Kartell“ revisited?

Bühne für den Festakt der Ausstellungseröffnung und zum Jubiläum des Vereins im Hof des Kronprinzenpalais
Bühne für den Festakt der Ausstellungseröffnung und zum Jubiläum des Vereins im Hof des Kronprinzenpalais

Beobachtungen von Ole Kloss, Deutsche Wohnen & Co enteignen – Kiezteam Friedrichshain

Am 5. September 2024 eröffnete die Open-Air-Ausstellung „Immer Modern! – Berlin und seine Straßen“ auf dem Mittelstreifen der Straße Unter den Linden in Berlin. Veranstaltet wird die Ausstellung von der Berlin 2070 gGmbH, einer Firma des Architekten und Ingenieur Verein Berlin Brandenburg (AIV). Geschäftsführer der gGmbH sind Tobias Nöfer, Architekt und Vorstand des AIV, und Dr. Benedikt Goebel, Stadtforscher, Vorstand der Stiftung Mitte Berlin sowie diverser Historischer Bau-Vereine und Mitglied des AIV-Kuratoriums. Schirmherr der Ausstellung ist der Regierende Bürgermeister von Berlin Kai Wegner (CDU). Die Eröffnung wurde von einem zweitägigen Programm im Kronprinzenpalais begleitet, bei dem unter anderem Christian Gaebler (SPD), der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprachen. Neben der planerischen und baulichen Historie einigerausgewählter Straßen der Stadt, wurden 10 „renommierte Architekturbüros“ (immermodern.de) damit beauftragt, Zukunftsvisionen für 10 Straßen in Berlin und Potsdam zu entwerfen. Diese sind ebenfalls auf den Stelen in der der Ausstellung zu sehen. Medienpartner der Ausstellung ist die Berliner Zeitung. Moderator der beiden Symposiumstage ist der „Head of Development“ der Kilian Immobiliengruppe, einer der Förderer der Veranstaltung.

Inhaltlich steht im Mittelpunkt der Veranstaltung die Frage nach einem menschen- und klimagerechten Umbau der Berliner Straßen und die Rückgewinnung einer autozentriert gebauten Stadt für die Menschen. Viele Stimmen der Zivilgesellschaft wurden um Statements gebeten. Stutzig machen jedoch der Ankündigungstext, die Auswahl der Straßen, die Auswahl der Architekturbüros, deren Aufgabenstellung und die anderen beteiligten Protagonisten. Geht es hier vielleicht eher um lukrative Bauprojekte auf neu gewonnenem Bauland? Um Privatisierungen? Um Prestige, um die Festigung von Macht innerhalb der Berliner Architekt*innenschaft und um Stadtpolitik? Hat sich hier eine Art „Berliner Kartell“ gebildet?

Der Architekturtheoretiker Dieter Hoffmann-Axthelm sprach in den 90er Jahren von einem „Berliner Kartell“[1] („Die Provokation des Gestrigen“, Dieter Hoffmann-Axthelm, „Die Zeit, 01.04.1994), das seiner Meinung nach damals die Berliner Stadtentwicklung beherrschte. Dieses bestand – so Hoffmann-Axthelm – aus Architekten, die Macht und Aufträge für sich sicherten, die eng mit der Politik verflochten waren und von der Bauwirtschaft gestützt wurden. An diesem „Kartell“ kam damals kein*e Berliner Architekt*in vorbei, so Hoffmann-Axthelm, der selber damals ein keinesfalls machtloser Teilnehmer dieses öffentlichen Ringens um Macht, Aufträge und Deutungshoheit war. Beobachtet man nun die Entwicklung der Jahre 2021-2024, die dominantesten Akteur*innen, ihre Netzwerke und Vorstellungen von guter Architektur und Stadt, kann man heute ebenfalls eine Kristallisation von gestalterischer, politischer und wirtschaftlicher Macht und einen diskursiven Kampf um eine hegemoniale Erzählung von Urbanität und Stadtgestaltung in den Händen einer kleinen, mächtigen Gruppe an entscheidenden Schnittstellen beobachten. Hoffmann-Axthelm ist ein Teil davon. Und wie in der restlichen Gesellschaft und der Berliner Politik ist die Richtung der von diesen Leuten vorangetrieben Entwicklung rückwärts.

Verkehrswende ja – aber kultiviert!

In den Ankündigungstexten und der Ausstellung wird die Praxis einer autogerechten Stadtplanung historisch an Beispielen dokumentiert und kritisiert. Nun, so Nöfer ebendort, müssten Expert*innen „kultivierte Antworten“ (https://immermodern.de/immer-modern/news/vorwort-von-tobias-noefer/) auf die Fragen der Zukunft geben. Das gibt die Richtung dieses Unternehmens vor, denn „kultivierte“ Antworten geben, das können nur die Expert*innen und die stellen sich hier vor. Im Architekten und Ingenieurverein Berlin-Brandenburg sind traditionsgemäß Architekt*innen, Ingenieure, Stadtplaner*innen, zusammen mit Industriellen und Politiker*innen organisiert. Auf Rückfrage eines Medienvertreters (Die Welt) bei der Pressekonferenz, wie es zu der Auswahl der Büros für diese Ausstellung gekommen sei, gab der Kurator eine ausweichende Antwort.

Kontroverse aktuelle Berliner Verkehrs-Themen kommen in der Ausstellung nicht vor und werden auch während der zwei Tage mit Symposien kaum thematisiert. Da wäre der geplante 17. Bauabschnitts der A100 dessen Baukosten gerade auf 1,8 Milliarden nach oben korrigiert wurden, und für den irrwitzige Bauten wie ein Doppelstocktunnel durch eine Wohnstraße und eine Brücke mitsamt Abfahrten über das Ring Center an der Frankfurter Allee im Osten der Stadt diskutiert werden. Oder der bereits seit den 1960ern geplante Bau der Tangentialverbindung Ost, mitten durch die Wuhlheide. Beide Projekte einer – noch quicklebendigen – Stadtplanung der autogerechten Stadt werden durch Umweltverbände und Bürger*innen Initiativen bekämpft. Zu Wort kommen diese hier nicht.

2023 hatte der AIV schon einmal ein Symposium zum Thema Verkehrswende und Rückbau der autogerechten Stadt organisiert (es sprachen u.a. Herr Bodenschatz und Frau Kahlfeldt).[2] Auch damals waren A100 und TVO kein Thema, obwohl das Symposium in Friedrichshain stattfand, ganz in der Nähe der geplanten Autobahntrasse.

Auf Nachfrage zur A100 Verlängerung gibt der AIV die Auskunft, dass sich der Verein in seinem Ansinnen „alleinig auf den Rückbau der A104“ bezöge, das sei „Vereinsintern und mit dem gesamten Vorstand abgestimmt.“ Aussagen zur A100 könne „Herr Nöfer nicht für den AIV tätigen, da es keine Beschlusslage dazu gibt.“[3] Auch in der aufgeladenen Diskussion um die kurzzeitig vor den Wiederholungswahlen zum Abgeordnetenhaus 2022 verkehrsberuhigte Friedrichstrasse äußerte sich Nöfer kritisch. Diese Verkehrsberuhigung sei rein „politisch motiviert“ gewesen. („Architekt Tobias Nöfer über die Friedrichstraße: „Vorrang für ein Verkehrsmittel ist im Stadtzentrum falsch“, Udo Badelt, Tagesspiegel, 23.11.2022) Der AIV möchte sich nicht als Auto-Gegner positionieren, der Verkehr soll aber abnehmen. Dieser Spagat macht die Bemühungen des Vereins an der Verkehrswende unglaubwürdig. In den Beiträgen des begleitenden Symposiums wird von mehreren Rednern passenderweise angeregt, man solle öffentlich gar nicht über Verkehr sprechen, sondern über Stadtentwicklung. Ein – von Nöfer wiederholtes – Fazit, man solle auch mal einer anderen Sicht zustimmen, wenn sie sich als richtig erweist, wird vermutlich dennoch nicht dazu führen, dass der AIV mal einem Straßenberuhigungsprojekt aus Grüner oder Linker Hand zustimmt. Der AIV verfolgt eine eigene Politik.

Was einem nach einigen Präsentationen der phantasievollen Großbauprojekte in den Sinn kommt ist, dass ein zukunftsweisendes, ökologisches, soziales städtisches Viertel in einem nahbaren Rahmen und städtisch finanziert doch eigentlich bereits ganz realistisch in Planung ist: der Molkenmarkt.

Hier wurde die Grunerstraße bereits verlegt und verkleinert und es soll von städtischen Bauherren ein Viertel mit „sehr guter Architektur“ (Koalitionsvertrag, S. 11) und modernem, autoreduzierten Verkehrskonzept entstehen. Breits ab 2027 können die Hochbauten starten.  Es gibt auch einen städtebaulichen Entwurf, der viele gute sozial-ökologische Ideen gesammelt hat. Doch in der Berliner Mitte geben sich die teilweise gleichen Akteure ganz anders. Hier in Mitte wird auch deutlich, dass es sich bei vielen der Akteure um ein Netzwerk handelt, das an mehreren Stellen zusammenarbeitet und welches seit 2021 an Macht und Einfluss gewinnt. Unter diesem Licht bekommt die Ausstellung „Immer Modern!“ dann einen endgültig schalen Beigeschmack.

Ein altes Netzwerk mit Interessen – Die Baumeister des neuen Berlin[4]

Will man die Vernetzungen einiger der Beteiligten verstehen, wird es kleinteilig. Man muss in die Berliner Mitte und weit zurückschauen. Einige der ausgewählten Architekturbüros, Redner*innen und beteiligten Wissenschaftler*innen sind mit den Organisatoren bereits seit den 1990ern verbunden. Durch die Auseinandersetzungen im Berliner Architektur Streit, durch die Zusammenarbeit am Planwerk Innenstadt, in der Planungsgruppe Stadtkern, dem AIV, dem Netzwerk für traditionelle Architektur INTBAU, dem Deutschen Institut für Stadtbaukunst und anderen Vereinen und Lobbygruppen, sowie durch Projekte wie das wiederaufgebaute Berliner Hohenzollernschoss, die neuen Altstädte in Potsdam und Frankfurt oder die geplante WerkBundStadt. Mit Einigen teilen die Organisatoren die libertäre, in den USA entstandene Ideologie des New Urbanism, welche neben respektablen, ökologischen Zielen eine Stadtentwicklung für private Eigentümer*innen propagiert.

In den 1990ern ging es um die Gestaltung Berlins als neue Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands. Gigantische Bauvolumen waren zu parzellieren, zu gestalten und umzusetzen, Boden sollte schnellstmöglich privatisiert werden. Damals entfachte der so genannte Berliner Architekturstreit, der hauptsächlich öffentlich, über Zeitungsartikel geführt wurde. Hoffmann-Axthelms Zeit-Artikel über das „Kartell“ von 1994 war ein Teil davon. In diesem Konflikt ging es keinesfalls nur um Architektur, Fassadengestaltung und deren identitärer Bedeutung für die neue deutsche Hauptstadt Berlin, sondern auch um (Gestaltungs-) Macht, Positionen und Aufträge. Tobias Nöfer war zwischen 1996 und 1998 unter Senatsbaudirektor Stimmann (AIV) im Büro von Architekt Bernd Albers Projektleiter für die Erarbeitung der Pläne für das historische Zentrum, des so genannten Planwerk Innenstadt zuständig.[5] Hoffmann-Axthelm plante mit. Auf dem Friedrichswerder planten sie gemeinsam mit Albers und Stimmann ein Areal, auf dem die Stadt kleine Townhouse-Parzellen vergünstigt an private Bauherren verkaufte. Beworben wurde dies als demokratisierende Maßnahme: die individuellen, wohlhabenden Bürger*innen auf ihren eigenen kleinen Parzellen bildeten in dieser Erzählung das Gegenbild zu autoritären oder kollektivistischen Gesellschaftssystemen. Entstehen sollte eine neue Bürgerstadt. Heute befinden sich in den Townhouses die teuersten Wohnlagen der Stadtmitte, die mit großem Gewinn verkauft, oder zu Rekordmieten weitervermietet werden. Es entstand eine Nobel-Nachbarschaft aus Spekulationsobjekten.

Stimmans Bücher kann man im Foyer des Kronprinzenpalais beim Begleitprogramm der Ausstellung Immer Modern! kaufen.

2011 wurde das Planwerk Innenstadt Stimmanns durch das Planwerk Innere Stadt ersetzt. Das neue Planwerk der seit 2007 amtierenden Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, sah unter anderem den Ausbau von Bürger*innenbeteiligung vor. Im gleichen Jahr gründeten Tobias Nöfer, Benedikt Goebel, Harald Bodenschatz, Bernd Albers, Dieter Hoffmann-Axthelm und andere die Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V. Die Gruppe setzt sich unter anderem für die Privatisierung von weiteren kleinen Bauparzellen und deren Bebauung durch private Bauherren in der Berliner Innenstadt ein. Den Verkauf von landeseigenen Flächen an Meistbietende hatte der rot-rot-grüne Senat von 2016-2020 beendet, auch die jetzige Koalition bekennt sich (noch) offiziell zu dieser Linie. In ihrer letzten Handreichung an Politiker*innen vom Winter 2023, wendet sich die Planungsgruppe dennoch gleich im ersten Kapitel direkt an die Berliner Politik, die die Stadtmitte noch nicht ausreichend als Politikfeld entdeckt habe. Im Folgenden weisen die Autoren allerhand Flächen aus, die man an Privatleute verkaufen und durch diese bebauen lassen könnte, denn, so fragen die Autoren, „finden die Parteien in den dort [bereits] wohnenden ihre Wähler?“ (Eckpunkte zur Stadtentwicklung der Berliner Mitte, 2023, S. 2)[6]

Bebauungspotenziale für neue Wähler*innenschichten in Mitte, Planungsgruppe Stadtkern, 2023.

Benedikt Goebel ist zudem im Vorstand der Stiftung Mitte Berlin, die 2021 von Senatsbaudirektorin Kahlfeldts Nachbarin ins Leben gerufen wurde. Die Stiftung setzt sich ebenfalls für die Privatisierung von Bauland in Mitte ein, hält öffentliche Veranstaltungen ab, und buhlt um solvente Unterstützer*innen, um für eine Rekonstruktion der Berliner Innenstadt nach alten Vorbildern zu werben. Goebel vertritt die Meinung, dass die „Reichen und Schönen“ die Mitte Berlins „verbürgerlichen“ und „zivilisieren“ sollten, alles andere sei „unnatürlich“. („Verschwiegene „Kammergesellschaft“ über Berlins Zentrum”Teresa Roelcke, Tagesspiegel, 10.06.2023) Die Planungsgruppe Stadtkern (also Nöfer, Goebel, Bodenschatz, Hoffman-Axthelm u.a.) trat in diesem Jahr als Mitveranstalter des dritten Mitte Festes der Stiftung auf. Während des Festes wurde eine Berliner Erklärung präsentiert, ein Papier, das ebenfalls die Schaffung und Privatisierung neuen Baulands in Mitte thematisiert. Das Hauptargument für eine Privatisierung liefert die Behauptung, gute Architektur könne ausschließlich durch privat Bauende entstehen, nicht jedoch durch die Stadt und deren landeseigene Wohnungsunternehmen.

So meint Tobias Nöfer im Tagesspiegel, sozialer Wohnungsbau solle eher auf der „grünen Wiese“ statt im Zentrum Berlins entstehen, denn dort solle gute Architektur entstehen, und die sei nun mal nicht durch günstige Mieten zu finanzieren. „Wünschen wir uns hier [am Molkenmarkt] eine Monostruktur aus Sozialbauten?“ fragt er („Da platzt mir die Hutschnur“, Udo Badelt, Tagesspiegel, 15.12.2022). Ein weiteres AIV-Mitglied, Wolfgang Maennig, meint in der gleichen Zeitung, „nicht jeder Mindestlohnbezieher könne in attraktiven Lagen wohnen“, Mietbegrenzung und Mietenspiegel seien im Übrigen kontraproduktiv („Bezahlbarer Wohnraum in Berlin?: Zehn Euro pro Quadratmeter kann sich jeder leisten”, Tagesspiegel, 03.01.2024). Ein Stadtzentrum für die Wohlhabenden, das war auch das Programm des Senatsbaudirektors Stimmann in den 90er Jahren, das Planwerk Innenstadt sah umfangreiche Privatisierungen vor.

Nach Senatsbeschluss über das Planwerk Innenstadt, Bericht im Amtsblatt 1999: „Das Abgeordnetenhaus hat am 27. Mai 1999 (Drucksache13/3776) den vom Senat am 18. Mai 1999 beschlossenen Bericht über „Demokratisches Verfahren für Gesamtplanung in der Berliner Innenstadt“ – Planwerk Innenstadt – zur Kenntnis genommen.“

Bertram Barthel, vormals in der Stiftung Mitte Berlin, heute Chairman der INTBAU (Royal Founding Patron: der damalige  Price Charles of Wales), dem Lobbyverband für „traditionelles Bauen“ und angehender Influencer für neoklassische Architektur, erarbeitet für den AIV die Social Media Betreuung zur Ausstellung. Barthels populistisches Facebook Franchise der schwedischen Erfindung Architektur Rebellion wird unterstützt durch Goebel. Auf dieser Facebook Seite werden plakativ moderne Bauten (hässlich!) mit klassischen Bauten der Jahrhundertwende oder von Kahlfeldt / Nöfer / Patzschke (schön!) verglichen und die Zerstörungen des 2. Weltkrieges bedauert (ohne jedoch jemals den Krieg zu erwähnen). Mit dabei: ein Mitarbeiter des Büros Patzschke. Den Erfinder der Rebellion für traditionalistische Fassadengestaltung, Michael Diamant und andere Architektur Influencer lud die INTBAU (Barthel) 2023 zu einem Rundgang zu Nöfers, Kahlfeldts und Patzschkes Architektur ein, Nöfer zahlte den Kaffee.[7] Goebel und Maennig bereiten die Rebellion für traditionalistische Fassadengestaltung in der FAZ für bürgerlichere Leser*innen auf.[8] In der INTBAU sind neben Barthel als Deputy Chair, Bodenschatz, Mäckler, Stimmann, Paul Kahlfeldt und das Institut für Stadtbaukunst als institutionelle Partner angegeben[9].

Barthel sprach 2023 beim Eden Fest von Johannes Hartl, einem umstrittenen, rechtsoffenen, katholischen Charismatiker zum Thema „Städte schön und menschenfreundlich bauen“[10]. Goebel und Bodenschatz kuratierten zusammen die Ausstellung „Macht, Raum, Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus“ in der Akademie der Künste in Berlin, die durch missverständliche Geschichtsdarstellung auffiel[11]. Goebel bejubelt online die städtebaulichen Ausführungen des libertären Prometheus Instituts. Nöfer beriet abwechselnd SPD und CDU bei den letzten beiden Koalitionsverhandlungen für den Berliner Senat. Diese Akteure scheinen omnipräsent.

Nöfer und Goebel propagieren, der Senat und die Landeseigenen seien am Molkenmarkt „überfordert“ oder „unfähig“ („Da platzt mir die Hutschnur“, Udo Badelt, Tagesspiegel, 15.12.2022; Altstadt-Aktivist über Berlin: „Im jetzigen Zustand hat der Stadtkern viele Unzulänglichkeiten“, Teresa Roelcke, Tagesspiegel 20.08.23), die Stiftung Mitte Berlin, die Verfasser der Berliner Erklärung, Kahlfeldt und diese Ausstellung betonen die Wichtigkeit von schönen, funktionierenden Stadträumen, also dem Raumzwischen den Häusern, der durch schöne und gute Architektur (Fassaden) gefasst (urbanisiert) gehöre. Nöfer, die Stiftung Mitte und die Planungsgruppe meinen, dass solche gute und vielfältige Architektur aber eben nur durch private Bauherren entstehen könne. Barthel schwört die Follower online auf klassische, architektonische Schönheit à la Nöfer, Kahlfeldt und Patzschke ein. Mit dieser Strategie bekämen am Ende Wohlhabende Bauland – wenn es nach Goebel ginge sogar vergünstigt – und die Häuser in Mitte und der Rest die Stadträume und den „besten Erdbeerkuchen der Stadt“. (Altstadt-Aktivist über Berlin: „Im jetzigen Zustand hat der Stadtkern viele Unzulänglichkeiten“, Teresa Roelcke, Tagesspiegel 20.08.23).

In der Berliner Öffentlichkeit, sowie der Bau- und Stadtpolitik wirken diese Expert*innen an der Verbreitung konservativer bis rechter, proprietaristischer Erklärungen und Deutungsweisen von Urbanität, Architektur und Stadt, sowie bei der identitären und emotionalen Beladung von stadtpolitischen Fragen und am Aufbau politischen Drucks. Sie sind in ihren Netzwerken tief verwurzelt und haben es geschafft, weit in die politischen und planerischen Machtstrukturen Berlins vorzudringen. Sie arbeiten, so scheint es, an einem Paradigmenwechsel. Dass die Architektin Petra Kahlfeldt, eine der Baumeister des neuen Berlins 2021, durch aktives Zutun der damaligen Bürgermeisterin, der konservativen Franziska Giffey (SPD), zur Senatsbaudirektorin ernannt wurde, kann in diesem Zusammenhang als gelungener Coup bezeichnet werden.

In einer Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses reagierte Senator Gaebler auf eine Frage zur Verbindung Kahlfeldts mit diesen Netzwerken – gestellt von der Sprecherin für Stadtentwicklung der Fraktion der Linkspartei Katalin Gennburg – mit der Gegenfrage: „Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Gennburg! Was hat Frau Kahlfeldt mit Herrn Nöfer und dem AIV zu tun?“[12]

Die Architektin Petra Kahlfeldt war bis 2021 gemeinsam mit Stimmann, Goebel, Patzschke, Bodenschatz und Nöfer sowohl im Kuratorium des AIV, als auch mit Goebel, Bodenschatz, Albers, Hoffmann-Axthelm und Nöfer Gründungsmitglied der Planungsgruppe Stadtkern. Zumindest offiziell ist sie heute nicht mehr Teil dieser Lobbygruppen. Sie saß mit Mäckler im Beirat der Neuen Frankfurter Altstadt, beriet in Potsdam beim Umbau des Zentrums, saß in einer Kommission zum Berliner Hohenzollernschloss. Die Überlappung der Rollen und die Präsenz von Goebel, Nöfer, Kahlfeldt, Bodenschatz und anderen Akteuren dieses Netzwerks ist Ausdruck einer starken, konservativen Machtkonzentration.

Ein neues “Berliner Kartell”?

„(…) Wer als Architekt in den oberen Etagen des Berufs etwas werden oder zu tun haben will, muss sich schon ein bisschen einordnen, sonst hat er bei Wettbewerben und Direktaufträgen wenig Chancen. (…) Architekten, auch die mächtigsten, sind freilich immer nur indirekte Machtfaktoren. (…) Den realen Kern (weil die Geldquelle) bilden stets einige Baufirmen.“

Hoffmann-Axthelm, „Die Provokation des Gestrigen“, Die Zeit, 01.04.1994

Hoffmann-Axthelms Beschreibung eines „Berliner Kartells“ muss man im Zusammenhang mit dem damaligen Machtkampf im Berliner Architekturstreit und vielleicht in Bezug auf den damaligen Westberliner Baufilz lesen. Heute ist Hoffmann-Axthelm als Mitglied der Planungsgruppe Stadtkern allerdings selber Teil eines Zirkels von anstrebenden Gatekeepern innerhalb der Stadt. Er war immer auch ein Vertreter der Privatisierung kleiner Parzellen an Bürger*innen und hat die oben zitierte jüngste Veröffentlichung der Planungsgruppe Stadtkern maßgeblich mit verfasst.

Die Vernetzung und das beschriebene Vorgehen und Lobbyieren der genannten Akteure, ist nicht illegal. Wird jedoch die Entscheidung der Senatsbaudirektorin Kahlfeldt, den 700.000 € teuren Wettbewerbsprozess am Molkenmarkt abzubrechen innerhalb eines solchen Zusammenhangs betrachtet, und die Senatsbaudirektorin innerhalb dieses Netzwerks verortet, kommt allerdings die Frage auf, wie weit diese Leute im Kampf für ihre Interessen gehen würden. 2022 beendete Kahlfeldt das Werkstattverfahren, das laut Ausschreibung und ihren eigenen, dokumentierten Aussagen eigentlich mit der Auswahl eines Finalisten aus zwei Siegerentwürfen hätte enden sollen, ohne eine solche Auswahl zu treffen. Vor laufenden Kameras des RBB behauptete sie sodann, eine solche Auswahl sei auch nie vorgesehen gewesen. Für diesen öffentlichen Strategiewechsel Kahlfeldts wurden sogar kurz vor der Entscheidung Senatswebseiten umgeschrieben.[13] Politische Konsequenzen hatte das für sie nicht. In einer vorerst letzten Wendung bekam kürzlich das Büro Mäckler Architekten mit dem „besten und günstigsten Angebot“[14] den Zuschlag zur gemeinsamen Erarbeitung eines Gestaltungshandbuches für den Molkenmarkt, welches im Herbst 2024 präsentiert werden soll.

Am Molkenmarkt tragen die beteiligten Akteure nichts zur Zukunftsfähigkeit, Ökologie und einer sozialen Stadt von Morgen bei. Hier agieren sie hauptsächlich gegen die Stadt als Bauherrin und soziale Vermieterin für die Mieter*innen dieser Stadt und im Sinne der gestalterischen Anmutung eines verlorenen Berlins.

Und diese Ausstellung?

Dass Berlin mehr Wohnungen und eine Verkehrswende braucht ist unbestritten, diese könnten natürlich auch auf Flächen entstehen, die eine notwendige Verkehrswende entstehen lässt. Doch es sollten hier landeseigene, bezahlbare Wohnungen entstehen. Dass Wohnungen im kommunalen Besitz die Mietenkrise – eine der größten sozialen Herausforderungen dieser Zeit – lindern können, ist parteiübergreifend Konsens. Dass landeseigenes Bauland nicht der Spekulation preisgegeben wird, dazu hat sich der Senat verpflichtet. Dass die Berliner*innen außerdem genug haben, von einer profitorientierten Ausrichtung des Wohnungsmarktes, sowie des damit einhergehenden Mietenwahnsinns, dass sie über Ihre Häuser und die Stadt mitbestimmen wollen, statt von Expert*innen und Entwicklern eine teure, neue Stadt vorgesetzt zu bekommen, das haben sie eindrucksvoll im „Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen!“ deutlich gemacht.

Um das drängende Problem der Mieten und die Verkehrswende in den Griff zu bekommen, bräuchte es also eine Architekt*innenschaft, die sich konsequent für die Verkehrswende aber auch für die Qualität des städtischen Wohnungsbaus und die Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsbestände engagiert, statt eine, die zum weiteren Ausbau der KFZ-Infrastruktur schweigt und die Privatisierung von städtischem Bauland und ein Zentrum der „Reichen und Schönen“ als Schimäre von Freiheit und  Demokratie propagiert. Die Berliner*innen engagieren sich gerne und aktiv für ihre Stadt, auch wenn sie darin „nur“ Mieter*innen sind. Mehr Demokratie schützt und stärkt die Demokratie. Verantwortung dafür, und das Engagement für eine lebenswerte Stadt entstehen nicht durch Eigentum!

Fruchtet das Engagement dieser Leute für erneute Privatisierungen und eine Stadtentwicklung auf kleinen Parzellen, wird das langfristig nicht ohne gebaute und tiefgreifende soziale Folgen für die Stadt bleiben. Gegenwärtig bräuchte es daher womöglich einen Architekturstreit 2.0, der eine Machtkonzentration aufbricht, die uns sonst samt Personalien und unter Zuhilfenahme emotionalisierender Social Media Beiträge direkt in die 90er Jahre oder noch weiter zurückwirft.

Fotos: Ole Kloss


[1] https://www.zeit.de/1994/14/die-provokation-des-gestrigen; Gemeint war damit eine „große öffentlich-private Koalition von Baufirmen, Politik, Verwaltung, Architekten und privaten Medien.“, „Der Berliner Architekturstreit“, Florian Hertweck, Gebr. Mann Verlag, 2010, S. 91.

[2] https://www.aiv-berlin-brandenburg.de/dai-tag-2023-in-berlin/

[3] Antwort auf eine Anfrage des Autors zu der Haltung des AIV zur A100

[4] Titel eines Buches von Gerwin Zohlen (Mitglied der Planungsgruppe Stadtkern) und Christina Haberlik, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2001

[5] https://www.noefer.de/de/projekte/planwerk-berlin/

[6] https://entwicklungsstadt.de/wp-content/uploads/2024/03/Eckpunkte-zur-Stadteitte_2024-03-12-1.pdf

[7] https://www.intbau.org/digging-new-classical-gems-in-berlins-architectural-badlands/

[8] „Gegen Langeweile im Städtebau“, B. Goebel, H. Maennig, 12.01.2024, FAZ

[9] https://www.intbau.org/resources/institutions/

[10] https://eden-fest.de/programm/

[11] https://www.adk.de/de/news/index.htm?we_objectID=65553

[12] Plenarprotokoll Abgeordnetenhaus 19/30, 11. Mai 2023, Seite 2502

[13] „Architektur für den Molkenmarkt: „Auf die Bezeichnung Sieger verzichten““, Ulrich Paul, 06.11.2023, Berliner Zeitung

[14] So eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung bei der Sitzung des Baukollegiums zum Molkenmarkt am 08. Juli 2024

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