Berlin ist nicht unbedingt die Stadt, die als erstes mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht wird und doch findet sich viel von seinen Einflüssen in den sechs sogenannten „Siedlungen der Moderne“ wieder. Diese eher unscheinbaren Juwelen der Architektur und des Städtebaus sind nicht von Genie- oder Starkult geprägt, sondern offenbaren einen geschmackvollen, von Bodenständigkeit bestimmten Ausdruck, der Wohnlichkeit und Funktionalität mit feinsinniger Nüchternheit verbindet. Vielfältig nutzbare Grünräume wurden dabei als wesentlicher Bestandteil in die Wohnanlagen integriert. Nicht ohne Grund sind die zwischen 1913 und 1934 erbauten Siedlungen, entworfen unter anderen von Bruno Taut, seit 2008 auf der UNESCO-Welterbeliste. Hier ist das Einfache, was doch so schwer zu erreichen ist, gelungen: Wohnungen für die Menschen, die sie brauchen, zu Mieten die sie sich dauerhaft leisten können, in einer Gestaltung, die geschmackvoll und zukunftsweisend ist.
Jedoch ganz stimmt das heile Bild nicht, denn inzwischen wurde der überwiegende Teil der Siedlungen privatisiert und viele der ca. 6.000 Wohneinheiten mit mehr als 10.000 Bewohner*innen befindet sich in den Händen der aktiennotierten „Deutsche Wohnen“, die gerade im dritten Anlauf durch den noch größeren Vonovia-Konzern geschluckt wurde.
Was wir deshalb vom Bauhaus über eine nachhaltige Bauwende lernen können ist, die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und soziale Belange – ausgewogen in Einklang miteinander zu bringen und genauer hinzusehen.Was genau die EU-Kommission bewog, ihr 2020 verabschiedetes Programm des Green Deals „New European Bauhaus“ zu taufen, bleibt bis heute noch etwas im Unklaren. Man munkelt, dass Hans Joachim Schellenhuber, ehemaliger Direktor des von ihm gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), der EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen die Wortmarke nahebrachte. Ziel ist in jedem Falle die Umsetzung der „Renovation Wave“ (Renovierungswelle), die versucht Nachhaltigkeit und Ästhetik miteinander zu verbinden. Auch die Initiative „Bauhaus der Erde“, der Schellenhuber vorsteht, nutzt den Verweis auf das Bauhaus, um eine Verbindung von naturgemäß eher technischen Nachhaltigkeitsfragen mit einer ästhetischen Neubestimmung zu erreichen. Dieser ganzheitliche Ansatz ist sinnvoll und darüber hinaus eine geschickte Marketingstrategie. Denn natürlich muss so ein Wandel im Bausektor auch verkauft werden. Eine Verschmelzung von Nachhaltigkeits- und Gestaltungsfragen kann die Bilder produzieren, die der dringend notwendigen Bauwende das anschauliche Gesicht geben und zeigen können, dass hier noch mehr möglich wäre, als hochgerüstete Kraftmaschinen mit WDVS (Wärmedämmverbundsystem).
Aber eine sozial-ökologische Wende mit baukulturellem Anspruch kann nur gelingen, wenn uns eine nachhaltige Finanzierung dafür gelingt. Oder anderes gefragt: Wer soll das alles bezahlen? Klimaschutz und sozialer Wohnungsneubau kostet. Eine globale Erderwärmung mit Fluchtbewegungen aus allen Erdteilen, die davon unmittelbar betroffen sind, wird uns allerdings ein Vielfaches mehr kosten; ökologisch, ökonomisch und letztlich auch sozial. Für unsere Zukunft heißt das, dass wir Klimawandel und soziale Fragen nicht gegeneinander ausspielen dürfen, sondern uns auf die Suche nach gemeinsamen Lösungswegen begeben müssen.
Die sich seit Jahren verschärfende Krise auf dem Wohnungsmarkt und der rapide fortschreitende Klimawandel gehören gemeinsam betrachtet. Immerhin bildet der Gebäudesektor aktuell den Elefanten im Raum der CO2 Emissionen. Mit 38 Prozent der Emissionen stellt er laut einem UNO-Bericht[1] den größten Einzelposten bei den Emissionsquellen dar. Hier müssen sowohl beim Neubau als auch im Bestand erhebliche Einsparungen vorgenommen werden. Dabei stellt sich allerdings folgendes Dilemma: Während der Bestand bereits „Graue Energie“ bindet, müssen für den Neubau erst erhebliche Mengen Energie und Ressourcen, und damit Emissionen aufgewendet werden. Gleichzeitig lassen sich im Neubau theoretisch sehr gut Energiesparmaßnahmen implementieren und durch kluge Materialauswahl, wie zum Beispiel nachwachsende Rohstoffe, sogar CO2 binden. Hier fährt man besser eine mehrgleisige Strategie, wobei das Motto „Sanieren geht vor Neubau“ gilt. Der Bestand muss ertüchtigt und wo immer möglich alte Bausubstanz wieder- und weiterverwendet werden. Der Energiesektor bedarf dringend einer Dekarbonisierung und für Neubau müssen strengste Vorgaben gelten, was die ausgestoßenen Emissionen im Lebenszyklus anbelangen.
Zum brennenden Problem wird allerdings, dass der Bedarf an der Schaffung preisgünstigen Wohnraums nicht mit den permanent steigenden Baukosten in Einklang zu bringen ist. Laut dem „Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen“ können diese aktuell bis zu 4.500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche zuzüglich hoher Grundstückspreise betragen. Hierfür gibt es eine Vielzahl an Gründen: Durch die starke Bauaktivität sind die Kapazitäten der Branche ausgeschöpft – von personellen Engpässen in der Verwaltung und im Handwerk bis hin zu Baustoffen, an vielen Stellen kommt es derzeit zu Mangelerscheinungen. Corona, Krieg und Lieferengpässe tun ein Übriges. Gleichzeitig ist das Baugewerbe sehr stark von den Entwicklungen auf den Finanzmärkten abhängig – Veränderungen bei Zins- und Bodenkosten spiegeln sich hier direkt wider. Eine weitere Ursache ergibt sich aber daraus, dass hohe Nachhaltigkeitsstandards auch hohe Anfangsinvestitionen erfordern. Fossilfreie Energiekonzepte und kreislaufgerechtes Bauen mögen sich langfristig über Nebenkosten (und soziale Kosten) refinanzieren, sind aber auch kostenintensiv in der Anschaffung und technischen Wartung. Außerdem müssen wir noch einen Schritt weiter gehen: der Anteil der verbauten CO2-emmitierenden Ressourcen ist drastisch zu senken. Hierfür wäre der ökologische Fußabdruck der verwendeten Materialien stärker zu betrachten und schon bei der Planung mitzudenken, wie im Falle eines Rückbaus die Wiederverwendung der Materialien im Kreislauf ermöglicht wird. Wie lassen sich also diese komplexen Maßnahmen für den sozialen Wohnungsbau umsetzen?
Ein Vorschlag zur Verteilung der Kosten wäre die sogenannte Miet- oder Hauszinssteuer. Hierbei wird vom Eigentümer eine Steuer auf die Nettokaltmieterträge erhoben. Bereits bei ihrer Einführung in den 1920er Jahren finanzierte sie den sozialen Wohnungsbau in Berlin und ihr verdanken wir heute einige Siedlungen der Moderne. Stefan Bach und Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) werben heute für eine „progressive Mietsteuer“, welche im Gegensatz zum historischen Vorbild den Steuersatz in Abhängigkeit zur Miethöhe stellt. Keine Steuer müssten so etwa diejenigen zahlen, die sich im Bereich der ortsüblichen Vergleichsmiete bewegen. Wer mehr als 110 Prozent fordert, müsste jedoch 10 Prozent und bei mehr als 120 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete 20 Prozent abgeben. 30 Prozent Steuern wären dann auf eine Miete zu entrichten, die über 130 Prozent gegenüber Vergleichsmieten liegt. Laut Bach könnten in Berlin so jährlich 200 Mio. Euro erzielt werden, was 1,2 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen von 2018 entspräche. Dieses Geld könnte dann für die sozial-ökologische Wende beim Wohnungsbau zur Verfügung stehen.
Zwar wurde die Hauszinssteuer der 1920er Jahre auf die Miete umgelegt, Bach und Michelsen gehen jedoch davon aus, dass diese Gefahr bei ihrem Vorschlag eher gering sei, da die Steuer nur Mieten betreffen würde, die ohnehin schon im oberen Preissegment angesiedelt sind und somit kaum Spielraum für eine weitere Anhebung bieten. Auch in anderen Aspekten unterscheidet sich die heutige Situation vom historischen Vorbild: Nach dem ersten Weltkrieg war die Miete auf niedrigem Niveau fixiert und Eigentümer*innen durch die Inflation entschuldet. Die Inflation hatte aber auch zur Folge, dass wenig ungebundenes Kapital zur Verfügung stand welches für Investitionen in den Neubau notwendig ist. Infolgedessen wurde die Mietpreisbremse gelöst und im Ausgleich eine Beteiligung am Neubau über Steuern erwirkt, beziehungsweise ungebundenes Kapital in entsprechender Größenordnung über Steuern generiert.
Ein weiteres interessantes Instrument stellen planungsrechtlich Bebauungspläne dar, die über entsprechende Eingriffsregelungen ökologische und soziale Ansprüche festsetzen können. Warum nicht das sog. „Ökokonto“ [2] in diesem Sinne weiterentwickeln, das die Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz 2019 für stadtpolitisch bedeutsame Bauvorhaben bei der Bauleitplanung etabliert hat? Auf diesem Weg könnten Bauvorhaben, insbesondere der benötigte soziale Wohnungsbau, beschleunigt werden und zugleich durch vorausschauende und integrative Planung ein Mehrwert für Mensch und Natur geschaffen werden.
Aber auch die aktuelle CO2-Abgabe (Zehn-Stufen-Modell), bei der sich Vermieter*innen ab 1.1.2023 bei hohem CO2-Ausstoß ihrer Immobilien bis zu 90 % beteiligen sollen und Mieter*innen die Abgabe nur zahlen müssen, wenn der CO2-Austoß pro m2 sehr gering ausfällt, stellt eine kluge Verknüpfung der gegenseitigen Abhängigkeiten her: je weniger klimafreundlich das Haus bzw. die Wohnung ist, desto höher die CO2-Abgabe pro m2 vermietete Fläche. Mit dieser CO2-Abgabe könnte wiederum sozial-ökologischer Wohnungsbau umgesetzt werden. Die Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) praktiziert dies seit Jahren schon freiwillig mit ihrer Klimaschutzinitiative: für jede gebäudebezogene Tonne CO2, die eine Gemeinde verursacht, werden 125 Euro fällig. Dieses Geld geht in den kirchlichen Klimaschutzfonds, aus dem konsequent in Klimaschutzmaßnahmen investiert wird. Die Gemeinden haben die Wahl, mit entsprechenden Maßnahmen dafür zu sorgen, dass ihr CO2-Ausstoß zurückgeht. Und die Erfahrung zeigt: Die meisten entscheiden sich gleich für eine schnelle Umrüstung auf klimaneutrale, sprich CO2-freie Lösungen.
Stattdessen lassen sich am Berliner Immobilienmarkt eher fehlgeleitete Investitionen beobachten: für Immobilien werden Verkaufspreise abgerufen, die auch mal das 70-fache der Jahresmiete betragen[3]. Und somit nicht mehr durch reale Gegenwerte gedeckt sind, sondern eher ein Symptom spekulativer Überhitzung ohne Mehrwert für die Gesellschaft sind, vor der inzwischen auch die Bundesbank warnt. [4] Wir befinden uns in einer Phase immer höherer Bestandsmieten in attraktiven Städten und – wie an der anhaltenden Niedrigzinspolitik erkennbar – großer Mengen ungebundenen Kapitals.
Ein weiteres Indiz der fehlgeleiteten Investitionen stellt die klimapolitisch und sozial verheerende Praxis dar, intakte Immobilen mit günstigen Bestandsmieten abzureißen, um an gleicher Stelle Neubauten zu errichten. Zum Beispiel begründet der Eigentümer eines ehemaligen Schwesternwohnheimes der Charité in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin Mitte, welches durch mehrmaligen Verkauf und langjährigen Leerstand, sowie aktuell einer Besetzung durch Wohnungslose überregionale Bekanntheit erlangte, seine Abrisspläne gegenüber dem Tagesspiegel 2019 damit, dass Angesicht des hohen Kaufpreises (ca. 20 Mio. Euro) eine Sanierung „wirtschaftlich und technisch nicht sinnvoll“ sei. Was er nicht erwähnte war der mehrfache Verkauf und die jahrelang unterlassene Instandhaltung ohne echten Wertzuwachs. Diese Instandhaltungskosten müssen in Zukunft mehr in den Fokus rücken, z.B. bei der Novellierung der Bauordnung.
Die Genehmigungspflicht für die Beseitigung von Wohnraum ist ein wichtiges Instrument und muss auch in zukünftigen Debatten mindestens erhalten und an Bedingungen geknüpft werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte im Gegenteil eine Erhöhung der Anforderungen für eine Genehmigung in § 63b der Berliner Bauordnung stattfinden, z. B. eine Darlegungspflicht, in wie weit der Neubau tatsächlich ökologischer oder ökonomischer ist (Regel-Ausnahme-Prinzip) – dabei sind die „Graue Energie“ etc. sowohl bei der Lebenszyklusanalyse (LCA) als auch bei der Lebenszykluskostenberechnung (LCC) mit einzubeziehen. Beim LCC sind Abriss und Rückbau des Bestands dem Ersatzneubau zuzuordnen. Dem Bestand sind nur die geplanten Sanierungs- bzw. Umbaumaßnahmen zuzurechnen. Kosten für Instandhaltung sind im Kostenvergleich transparent zu machen und entsprechend im Kostenvergleich abzuziehen.
Offensichtlich fließt das anlagefreudige Kapital derzeit also eben nicht in die sozial-ökologische Wohnraumentwicklung, sondern in hochpreisige Projekte ohne Anspruch an die sozial-ökologische Wende. Gerade einmal 5 Prozent der fertiggestellten Sozialwohnungen zwischen 2018 und 2021 wurden von privaten Wohnungsunternehmen realisiert, 94 Prozent durch die Landeseigenen. Mit intelligenten und zielgerichteten Steuern wäre hier somit eine Umlenkung des Kapitalflusses innerhalb der Wertschöpfungskette möglich hin zu Projekten, die wirklich gebraucht werden. Ein „New European Bauhaus“, ein neues Bauen kann also nur gelingen, wenn man nicht auf der technisch, gestalterischen Ebene verhaftet bleibt. Mit der ökologischen und sozialen Wende muss auch eine ökonomische Bauwende einhergehen.
Das resümierte der Architekt Bruno Taut bereits 1926: „Nun sollen Techniker und Baufachleute dort retten, wo die Finanzkrisen das Unheil angerichtet haben.“
Autorin: Theresa Keilhacker, ist freischaffende Architektin und Mitglied im Netzwerk AfA – Aktiv für Architektur. Sie war von 2005 – 2013 Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltiges Planen und Bauen der Architektenkammer Berlin, seit 2007 ist sie Mitglied im Rat für Stadtentwicklung. Von Mai 2013 bis April 2017 vertrat sie als Vizepräsidentin die Architektenkammer Berlin und war in dieser Position u.a. zuständig für Stadtentwicklung und Nachhaltiges Planen und Bauen, sowie den Aufbau und die Pflege internationaler Kontakte, seit Mai 2021 ist sie Präsidentin der Architektenkammer Berlin. 2014 wurde sie in die Kommission für nachhaltiges Bauen (KNBau) am Umweltbundesamt berufen. Ein Ziel der KNBau ist es, die wissenschaftliche Diskussion zum nachhaltigen Bauen in die Praxis zu bringen. Seit 1998 Bürogemeinschaft mit Boris Kazanski in Berlin.
[1] https://drive.google.com/file/d/1k2X0oASPl-RUsi90RdKLMkrBfalv29yW/view
[2] https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/landschaftsplanung/landschaftsprogramm/gesamtstaedtische-ausgleichskonzeption/berliner-oekokonto/
[3] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/hoher-kaufpreis-niedrige-miete-koennen-wohnungskaeufer-nur-noch-verlieren/26828760.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/immobilien-neuer-rekord-auf-deutschem-immobilienmarkt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220221-99-228169