Probleme und Herausforderungen der aktuellen Bauwirtschaft
Die aktuelle Bauwirtschaft ist durch Bau und Betrieb allein für rund 40 % der weltweiten
Treibhausgasemissionen und rund 40 % des Energieverbrauchs verantwortlich (vgl. UNEP 2020: 4). Weltweit gehen Schätzungen der UN zufolge mehr als die Hälfte des Ressourcenverbrauchs auf die Baubranche zurück, wodurch sie der größte Rohstoffverbraucher der Erde wird (vgl. UNEP 2020: 4; WEF 2016: 11). Dieser Ressourcenverbrauch hat weitreichende Folgen. In Europa gehen 50 % der Treibhausgasemissionen und mehr als 90 % der Biodiversitätsverluste und Wasserknappheiten auf die Ressourcengewinnung und -verarbeitung zurück (vgl. Europäische Kommission 2019). In Deutschland werden über 90 % der abgebauten Ressourcen allein von der Bauwirtschaft verbraucht (vgl. Destatis 2017). Zudem führt die Produktion von Baumaterialien zu hohen CO₂-Emissionen. Allein die weltweite Zementindustrie ist für 8 % der jährlichen CO₂-Emissionen verantwortlich (vgl. Beyond Zero Emissions 2017). Mit dem Bau und Betrieb der Gebäude endet die Problematik aber nicht. Die nach Nutzungsende entstehenden Bau- und Abbruchabfälle stellen in vielen Ländern ein ernsthaftes Problem dar. Diese werden bisher unzureichend genutzt und nur in geringem Maße recycelt oder verwertet. In der EU macht das Abfallaufkommen aus dem Baugewerbe über 35 % der gesamten Abfallmenge aus, in Deutschland sind es sogar über 50 % (vgl. Europäisches Parlament 2020; UBA 2021a). Prof. Dr. Dr. h.c Hans Joachim Schellnhuber, weltweit renommierter Klimaexperten und Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, äußerte sich in Bezug auf das Bauwesen in Deutschland:
„Das ist der Elefant im Raum, der aber bisher kaum berücksichtigt wird. Wir müssen unsere gebaute Umwelt neu denken“
Schellnhuber (Prager 2021)
Die Bauwirtschaft ist einer der Hauptverursacher von Ressourcenknappheit, Treibhausgasemissionen und Klimakrise. Ein System, das die planetaren Kapazitäten überlastet. Besonders in Industrieländern wie Deutschland, mit bedeutend höherem Ressourcenverbrauch, besteht ein dringender Handlungsbedarf. Rechtlich verbindliche Rahmenbedingungen, wie das Pariser Klimaabkommen (vgl. UBA 2021b) und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 (vgl. taz 2023), wonach die Bundesregierung zu wenig für Klimaschutz und Generationengerechtigkeit tut, unterstreichen dies. Trotzdem verfehlt die Bundesregierung die Minderungsziele gerade im Bau- und Gebäudesektor seit Jahren.
„Ohne radikale Bauwende auf Basis einer bio-basierten Kreislaufwirtschaft wird das Pariser Klimaabkommen scheitern“
Schellnhuber (Forschung & Lehre 2021)
Prof. Dr. Schellnhubers Zitat und die genannten Zahlen unterstreichen den dringenden Handlungsdruck und die entscheidende Bedeutung der Bauwirtschaft für die Einhaltung der planetaren Grenzen. Er fordert eine radikale, systemische Transformation, von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise. Städte spielen dabei aufgrund der rapiden Urbanisierung und des hohen Ressourcenverbrauchs durch Bautätigkeiten eine Schlüsselrolle.
„Für eine nachhaltige Stadtentwicklung muss die Bauwirtschaft diesen linearen Stoffwechsel überwinden und als zirkuläres System entwickelt werden. Denn durch Kreislaufwirtschaft können lokal und global Klima und Umwelt nachhaltig geschützt werden, da weniger Primärrohstoffe verbraucht und weniger schädliche Emissionen freigesetzt werden.“
Wir sind dran (Von Weizsäcker; Wijkman et al. 2017)
Eine nachhaltige Stadtentwicklung beinhaltet dabei vielschichtige Lösungsansätze. Neben radikalem Bestandsschutz und zirkulärem Bauen mit lokaler Rohstoffgewinnung im urbanen Raum umfasst diese auch kreislaufgerechte Baustoffe und neue Konstruktionsprinzipien.
Bestandsschutz
Ressourcenschonung in bestehenden Gebäuden muss höchste Priorität haben. Der Erhalt von Gebäuden ist der beste Klimaschutz, da er Ressourcen, Baumaterial und CO₂-Emissionen, die bei Neubauten entstehen würden, spart. Abriss führt zur Vergeudung von „Grauer Energie“, die beim Bau verbraucht wurde, und den damit verbundenen CO₂-Emissionen. Die Anpassung neuer Nutzungen an bestehende Strukturen ist entscheidend, anstatt Neubauten zu errichten. Ein behutsamer Umgang mit dem Bestand ist der Schlüssel zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Er schont die natürlichen Ressourcen und bewahrt gleichzeitig Baukultur und schafft einzigartige Atmosphäre (vgl. deutschlandfunkkultur.de 2022). Dieser radikale Bestandsschutz ist integraler Bestandteil einer kreislaufgerechten Stadtentwicklung.
Urban Mining
Wenn Gebäude abgerissen werden müssen, ist „Urban Mining“ ein wichtiger Baustein für die Sekundärrohstoffgewinnung. Das Prinzip versteht die „Stadt von heute als das Rohstofflager von morgen” (EMPA o.J.). Rohstoffe werden nicht mehr in Bergwerken oder Steinbrüchen, sondern aus ausgedienten Häusern, Leitungen, Autos und Geräten gewonnen (vgl. UBA 2015). Durch die Wiederaufarbeitung und das Up- und Recycling von Materialien, führen zu einer höheren Produktlebensdauer und so zu erheblichen Einsparungen bei Primärrohstoffen. Die lokale Rohstoffgewinnung aus bestehenden Gebäuden birgt großes Potential, da der bauliche Bestand unser größtes Rohstofflager bildet. Allein in der Gebäudestruktur sind 55 % der verbauten Masse in Deutschland gebunden (vgl. UBA 2016). Ein behutsamer Rückbau mit sortenreiner Trennung ist entscheidend, um wertvolle Materialien wieder neuen Produktkreisläufen zuführen zu können. Der „städtische Bergbau“ kann den Bedarf an neuen Rohstoffen reduzieren und den Abbau und Import von Primärrohstoffen minimieren. Das Prinzip des „Urban Mining“ ist ein zentraler Baustein für eine kreislaufgerechte Stadtentwicklung und um das Ziel einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft zu erreichen
„Cradle-to-Cradle“
Mit Blick auf die wachsende Urbanisierung in Metropolregionen ist jedoch auch der Neubau von Gebäuden notwendig. Hierbei müssen in Zukunft neue Konstruktionsprinzipien eingesetzt werden. Um zukünftig alle Rohstoffe eines neuen Produkts auch nach dem Nutzungszeitraum wieder in den Stoffkreislauf zurückzuführen, müssen die Baustoffe schadstofffrei sowie sortenrein demontier- und trennbar sein. Mit diesem als „Cradle-to-Cradle“ (EPEA o.J.) bezeichneten Prinzip können Materialien mit gleichbleibender Qualität wiederverwendet, konsequent Abfälle vermieden und so große Treibhausgaseinsparungen erreicht werden. Da der Ressourcenverbrauch und die Rückbaupotenziale größtenteils von verwendeten Konstruktionsmaterialien und -prinzipien bestimmt werden, sind die Auswahl und das Design zukünftiger Bauprodukte besonders entscheidend (vgl. dena 2021: 8). Energieintensive Verbundstoffe, wie Beton und synthetische Dämmsysteme, müssen durch möglichst homogene und gut trennbare Materialverbindungen ersetzt werden. Dies kann durch eine vielfältige Verwendung natürlicher Baustoffe in Kombination mit einfachen Konstruktionsprinzipien gelingen.
Zirkuläre Baumaterialien
Für die erfolgreiche Kreislaufwirtschaft müssen nachhaltige und kreislaufgerechte Materialien Anwendung finden. Dazu gehören neben Holz auch Lehm, Pilze, Ziegel, Stroh und Hanf als zirkuläre Baumaterialien. Sie sind umweltfreundlich, leicht demontier-, sortenrein trenn-, und so vollständig rezyklierbar. Zudem können sie bereits aus einem hohen rezyklierten Anteil bestehen und haben sich in der Vergangenheit und heutigen Praxis bereits bewährt.
Umsetzung
Ein Beispiel für ein erfolgreiches Leuchtturmprojekt ist die “Experimentaleinheit Urban Mining and Recycling” (UMAR) der EMPA in der Schweiz. Hier werden kreislaufgerechte Materialien und Systeme unter realen Bedingungen getestet (vgl. EMPA o. J.b). Das UMAR Forschungsgebäude besteht aus flexibel austauschbaren Modulen, während die massiven Tragstrukturen vor Ort erhalten bleiben, anstatt abgerissen zu werden. Alle verwendeten Baumaterialien sind vollständig wiederverwend-, wiederverwert- oder kompostierbar. Sie müssen schadstofffrei, leicht demontierbar und sortenrein trennbar sein, wodurch sie vollständig rezyklierbar sind. Zudem enthalten die Produkte bereits einen möglichst hohen Anteil rezyklierter Stoffe. So können Gebäude zu wertvollen und langlebigen Rohstoffdepots werden, die ihre Ressourcen nach dem Ende der Nutzungszeit wieder freigeben (vgl. EPEA o. J.).
„Jetzt gilt es, das neue Denken auf breiter Basis zu etablieren.“
Keilhacker (DAB 09/2021)
Dies versucht das Entwicklungskonzept “TransformationsLabor RE:dersdorf” für das ehemalige Beton- und Chemiewerk in Rüdersdorf. Es wurde im Rahmen meiner Masterarbeit zusammen mit Christoph Skarabis als Beitrag für den Schinkelwettbewerb 2022 erarbeitet . Die Arbeit zeigt eine kreislaufgerechte Perspektive für die Gemeinde auf und bindet dabei die gesamte Metropolregion ein. Es zielt darauf ab, die bisher lineare Stadt-Umland Beziehung zwischen Berlin und Rüdersdorf in ein nachhaltiges bauwirtschaftliches Kreislaufsystem umzuwandeln (siehe Stadt-Umland Beziehung TransformationsLabor RE:dersdorf ). Die Prinzipien des “Urban Minings” und “Cradle-to-Cradle” werden dabei direkt angewendet. In Berlin behutsam abgebrochene Baumaterialien und -teile werden nach Rüdersdorf transportiert, wo die lokale Bauwirtschaft im “TransformationsLabor RE:dersdorf” auf die kreislaufgerechte Ver- und Aufarbeitung spezialisiert ist. Die gute Wasser- und Schienenanbindung bietet ideale Voraussetzung für einen innovativen Transport abseits der Straße. Die in Rüdersdorf aufgearbeiteten Baumaterialien können nachfolgend über eine Bauteilbörse in der Metropolregion erneut verwendet werden, um kreislaufgerechte Gebäude zu errichten (vgl. Skarabis; Uppenkamp 2022).
Solche produktiven und innovativen Leuchtturmprojekte für eine nachhaltige Stadtentwicklung können die nötige Transformation im Bausektor einleiten. Sie agieren auf multiplen Ebenen und bringen Wirtschaft, Ökologie und Soziales durch lokale Produktion und regionale Kreisläufe zusammen. Die Projekte schaffen Infrastrukturen für ein kreislaufgerechtes Bauen und initiieren innovative Dynamiken. Durch die Verbindung von Forschung und Praxis sind sie Reallabore und setzen die Kreislaufwirtschaft in der Realität um. Diese Leuchtturmprojekte generieren überregionale Mehrwerte und bieten konkrete Umsetzungsbeispiele. So machen sie die zirkuläre Ökonomie mit ihren Chancen und Mehrwerten erfahrbar und sind Orte partizipativer Bildung. Diese Erfahrung und aktive Einbindung der Menschen ist für die erfolgreiche Umsetzung entscheidend. Zudem fördern sie so weitere Projekte sowie lineares Bauen und Wirtschaften durch kreislaufgerechte Innovationen zu ersetzen.
Zur umfassenden Verwendung alternativer und rezyklierter Baustoffe müssen zudem bestehende Normen und Richtlinien überarbeitet und angepasst werden. Aktuell werden in Europa nur 1,5 % des Bestands saniert und nur 13 % der deutschen Bauabfälle tatsächlich recycelt (vgl. deutschlandfunkkultur.de 2022). Allein in Berlin fallen jährlich über 1.000.000 Tonnen Abrissbeton an, der wiederverwertet werden könnte (vgl. SenUVK 2021: 102). Allerdings werden nur etwa 1 % davon in der Betonherstellung wiederverwendet (vgl. Schwenk 2021). Stattdessen werden über 98 % im Straßenbau “downgecycled” (vgl. SenUVK 2021: 102). Dies bedeutet, dass das Abbruchmaterial nicht gleichwertig weiterverwendet wird, da veraltete Qualitätsanforderungen die Weiterverwendung erschweren (vgl. UBA 2016).
Zudem dürfen die entstehenden negativen Umweltauswirkungen der Ressourcengewinnung bei konventionellen Baumaterialien nicht länger externalisiert werden. Durch die Einpreisung werden umweltfreundliche, recycelte und wiederverwendbare Baustoffe wettbewerbsfähiger und ihre breitere Verwendung attraktiver. Dies macht Abriss unwirtschaftlich, und die in Städten und Gebäuden verbauten Rohstoffe werden in Zukunft zu wertvollen Materiallagern, die ihre großen Rohstoffmengen nach dem Nutzungsende wieder freigeben. Studien zeigen, dass eine ganzheitlich zirkuläre Wirtschaftsweise allein in Europa über eine Million neue Arbeitsplätze in innovativen Wirtschaftsfeldern schaffen und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen um zwei Drittel reduzieren könnte (vgl. Wijkman; Skånberg 2020). Zirkuläres Wirtschaften schützt daher nicht nur die Natur, sondern mit dem Erhalt der Lebensgrundlage auch den Menschen.
„Wir müssen (…) die Stadt eingebettet in ihrer Region als übergeordnetes System begreifen, dass sich als urbane Mine laufend aus sich selbst heraus erneuert. Dieses zirkuläre Denken auf allen Ebenen, das auf die Schonung und den Erhalt von Ressourcen abzielt muss alle Dimensionen unserer Arbeit erfassen; von der Stadtentwicklung über Bestandsentwicklung und Neubau“
Keilhacker (DAB 09/2021)
Architektur und Stadtplanung sind bei der dringend nötigen Transformation zu einer nachhaltig agierenden Gesellschaft von hohem Stellenwert. Sie gestalten die gebaute Umwelt und beeinflussen die gesamte Gesellschaft auf multiplen Ebenen. Eine kreislaufgerechte Stadtentwicklung weist wirkungsvolle Lösungsansätze auf, um den großen Herausforderungen der Bauwirtschaft zu begegnen. Sie ist ein starkes Instrument für die Gestaltung einer sozialen und ökologisch nachhaltigen Welt. Um den komplexen Problemlagen der heutigen Zeit zu begegnen, braucht es daher neben Leuchtturmprojekten, wie dem TransformationsLabor oder der UMAR, ganzheitliche Konzepte, die eine kreislaufgerechte Stadtentwicklung implementieren und dabei global denken, regional wirken und lokal handeln.
Till Uppenkamp – studierte Stadtplanung an der BTU-Cottbus und TU-Berlin. 2020 gewann er mit dem “Kreislauf.wird.Stadt” Konzept für die Siemensstadt 2.0 den Nachwuchswettbewerb „Stadt im Wandel – Stadt der Ideen“. Im Rahmen seiner Masterarbeit erarbeitete er mit Christoph Skarabis für den AIV- Schinkel-Wettbewerb 2022 das Entwicklungskonzept „TransformationsLabor RE:dersdorf“ für das ehemalige Beton- und Chemiewerk in Berlin-Rüdersdorf.
Literatur & Quellenverzeichnis
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– Artikel vom 16.11.2023